Beim Erwachen, noch mit geschlossenen Augen, auf die Geräusche hören. Sie sagen dir, wo du bist. Fremde Geräusche, fremder Ort. Vertraute Geräusche, vertrauter Ort. Heute Morgen lauter fremde Geräusche. Erst nach einer Weile begannen sie sich als vertraute herauszustellen: die Nachbarn in Basel, die Vögel im Hof. Die Stimmen aus den geöffneten Fenstern der Arztpraxis. Als ich die Augen öffnete, war dann schon alles an seinem Platz.

Allen, die dem Blog die Treue gehalten haben und allen, die ihn ab und zu besucht haben, herzlichen Dank!

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Wenn auch nicht mehr in der dichten Folge von „BaselParis“ …
come&see!

Niemand ist dankbarer, dass man ihn anspricht, als ein Museumswärter. Er springt von seinem Stuhl in der Ecke auf, begleitet dich zur Saaltür, weist dir den Weg, gibt dir seine guten Wünsche mit. Wer von uns wäre nicht so ein Museumswärter und wartete nicht darauf von jemandem spontan angesprochen zu werden, der sich für die Schätze in seinen, in ihren verborgenen Räumen interessiert –? (Palais de Tokyo)

 

An der Schwulenparty auf den Strassen, mitten in den Verkleidungen, den schrillen Aufmachungen, dem Tuntenlärm jenes Augenpaar, das während der Begrüssung unversehens dem andern begegnet im Augen-Blick des Einverständnisses, stumm, begleitet von keiner Grimasse, keinem Getue – ein Blitz durch die rosa Wolken hindurch, ins Dunkel des Begehrens.

 

Zuneigung zu jemandem empfinden und die Kunst kennen, sie ihm zeigen zu können.

 

Die Höflichkeit der Franzosen, die sich, wenn man sich entschuldigend zwischen ihnen durchdrängt, sich ihrerseits entschuldigen, für ihr Dastehen.

Sie hat in ihrer neuen Wohnung ihren romantischen Traum von einem Himmelbett verwirklicht. Doch hat sie sich in den Dimensionen vertan: Weder lässt sich nun die Tür des kleinen Raumes ganz öffnen noch das Fenster. Ihr Traum war grösser als die Wirklichkeit, und dies für einmal buchstäblich.

 

Ihre Freundin will ihre Wohnung verlassen, weil diese neben dem prison de la Santé liegt. Ein Feng-shui-Berater habe ihr gesagt, ein Gefängnis sei eine ungesunde Nachbarschaft. Vielleicht müsste sie, statt umzuziehen, nur die Gitter ihres eigenen Käfigs entfernen.

 

Die vereinzelten feinen Regentropfen spätabends sind auf dem Pflaster nicht zu sehen, sie glänzen nicht, sie springen nicht, sie riechen nicht, machen auf sich aufmerksam als kühle Nadelstiche auf der nackten Haut.

Das Kindhaft in mir wiederzufinden geht weniger über die Erinnerung an die Kindheit als über das Vergessen all dessen, was ich seither geworden bin.

Warum den Satz nicht so belassen wie er ursprünglich dastand? „Das Kindhaft in mir wiederzufinden geht nicht über die Erinnerung an die Kindheit, sondern nur über das Vergessen all dessen, was ich seither geworden bin.“ Weil das Ausschliessen keine Geste der Literatur ist und es die LeserInnen statt mit einer Beobachtung / Erfahrung mit einer Meinung konfrontiert (ärgerliche Tendenz im neuen Roman von Michel Houllebecq, „Soumission“).

Lesers Tageslauf: Am Morgen eine Lektüre, die mich vom Traum zum Schreibtisch führt, am Abend eine, die mich vor Schlafes Tor begleitet. Dazwischen das Entziffern der Zeichen, die nicht in Büchern stehen.

 

Ihre Züge hätten sich in der Zeit ihres Hierseins verändert, sage ich, worauf ihre Augen sich mit Tränen füllen. So sehr ist sie gerührt darüber, dass jemand ihr Gesicht wahrgenommen hat.

 

Es ist verboten hier Fotos zu machen, sagt die Aufsicht im Schwimmbad. – Warum? – Es ist in allen Schwimmbädern verboten.
Die Botenstoffe der Bürokratie pulsieren hochfrequentig im Körper der französischen Nation – Ge-bote und Ver-bote als weisse und rote Blutkörperchen, und immer wieder ist es erstaunlich, wie willig sich die Nachfolger der Revolution ihrem Diktat unterwerfen, wie untertänig und fraglos sie noch auf den absurdesten Vorschriften bestehen.

Piscine Pontoise… da wird der Verstoss gegen die Gesetze geradezu zur Pflicht.

Was man in den Medien und Internet an Informationen finden kann, braucht nicht Gegenstand des Notierens zu werden. Es ist nicht nötig festzuhalten, dass im Moment um ein europäisches Land gefeilscht wird und es dabei um die Tilgung von 1,6 Milliarden Euro Schulden geht. Es ist nicht nötig zu notieren, dass der Elektronikkonzern Altice das Telecomunternehmen Bouygues für 10 Milliarden Euro kaufen wollte (was Bouygues heute ablehnte). Es ist aber doch gut, auf die so ungleichen Summen hinzuweisen, die dabei im Spiel sind, und darauf, wofür sie im Spiel sind. Ein Konzern setzt zur Vergrösserung seines Einflusses und seiner Macht ein Zehnfaches von der Summe ein, welche zur Erhaltung der Demokratie, der Selbstbestimmung eines Landes auf dem Spiel steht, und doch gilt die mediale Aufregung allein dieser vergleichsweise bescheidenen Summe.

 

Während seiner Lesung sass sie neben ihm, fiel in die kurzen Songs ein, mit denen der Vortragende sein episches Gedicht ab und zu unterbrach, und hantierte dabei mit Nadel und Faden. Erst sah es so aus, als wolle sie an seinem schwarzen T-Shirt ein Loch stopfen, doch sie hatte dort nur den Faden befestigt, den sie anschliessend durch den Stoff ihres eigenen Hemdes zog, um ihn erneute an seinem T-Shirt zu befestigen. Während er mit Worten einen Text wob, zog sie die Fäden von sich zu ihm und von ihm zu ihr immer dichter. Beim Schlussapplaus war sie mit ihm unzertrennlich geworden – eine Liebeserklärung, für die es keine Worte brauchte, nur etwas Geduld und ein Stück Zwirn.

 

Eine kleine Begebenheit nicht aufgeschrieben zu haben, kommt mir zuweilen wie eine Unterlassung vor, für die es eine Strafe absetzen wird. Nicht die Höchststrafe, und doch eine Todesstrafe, das Vergessen.

 

Beide sind von hoher Intensität, die Freude über die Zeit in Paris und die Traurigkeit über deren Ende. Sie schaukeln einander hoch bis zum Punkt, wo sie sich kaum mehr voneinander unterscheiden. Als vitaler Wechselstrom vibrieren sie durch den Körper.

Da er zwar Künstler ist, aber keine Kunst vorzuweisen hat, stellt er sich selbst aus.

Weil alle, die wippend und sich wiegend am Strassenrand standen, und alle, die auf der Strasse tanzten, immer wieder verzückt hochblickten, blickte ich auch hoch, und da standen sie, in einer Reihe in den Fenstern des ersten Stockwerks: die Lautsprecher. (Fête de la musique)

Ich möchte soweit kommen, dass ich an jedem Tag vorbehaltlos bereit wäre zu sterben, sagt er.
Ich möchte soweit kommen, dass ich an jedem Tag bereit wäre ihn vorbehaltlos zu leben, sagt sie.

 

Derart rühmt die Floristin die Schönheit des Strausses, den sie zusammenstellt, dass ich anerkennend bemerke, sie sei eine gute Verkäuferin. Das Lob weist sie gekränkt zurück. Das Arrangement aus Farben ist es, das sie schön findet, nicht das Verkaufsobjekt. Sie überreicht es mir mit einer Hingabe, als würde sie es mir am liebsten schenken.

 

Ich hatte so grosse Freude an dem Strauss, dass ich mich anschliessend in den falschen Bus setzte.