Die Jüdin aus Tel Aviv hat von ihrem palästinensischen Geliebten zum Abschied einen Anhänger geschenkt bekommen, der die Form des Staats Israel nachbildet. Sie zeigt mir auf dem Schmuckstück, wo Tel Aviv liegt. Er aber wohnt hier, sagt sie und legt den Finger dorthin, wo sie sein Flüchtlingslager vermutet, auf die Haut in der Nähe ihres Herzens.

Der Freund ihres Geliebten, ein Maler aus Ramallah, malt Bilder von der Landschaft seiner Heimat, die in ihrer Schönheit fast schon verstörend wirken. Die Spuren menschlicher Anwesenheit sind getilgt, es gibt keine Häuser und keine Strassen, keine Silos, keine Checkpoints und keine Sicherheitsmauer. Statt dessen viele Orange- und Grüntöne, sonnenbeschienene Täler, ein Gewebe von Feldern. Selten habe ich Bilder von solch unmittelbar politischer Aussage gesehen.

Der Schatten eines Riesenvogels streicht über die Sonnenwand, ein Vogel so gross, wie ich ihn hier noch nie gesehen habe – ein Adler? ein Geier? Rasche Flügelschläge. Der Schatten wird kleiner: ein Falke wohl eher, spitze Flügel, was will er dort an der Mauer? Noch ein Stück kleiner wird er, und als neben ihm in der Luft vor der Wand ein rundliches Ding erscheint, wird klar, es handelt sich um einen Sperling, der sich jetzt auf einen Vorsprung setzt und den Adlerschatten, den Falken- und Taubenschatten unter seinem kleinen Leib verschwinden lässt.

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